An manchen Stellen in Northeim kann man ungewöhnlich geformte Dachziegel entdecken: Die Krempziegel. Früher prägte der flache, rote Tonziegel mit seiner seitlichen, konisch zulaufenden Tülle (der Krempe) das gesamte Stadtbild.
Vor 1.000 Jahren wurden Häuser mit Stroh, Holzschindeln oder einfachen Rinnenziegeln eingedeckt. Zu dieser Zeit soll der Heilige Bernward, der als Bischof von Hildesheim auch ein eifriger Baumeister war, den Krempziegel auf Basis antiker römischer Leistenziegel entwickelt haben. Er war nicht nur brandsicher, regendicht und langlebig, sondern eignete sich auch für besonders steile Dacheindeckungen und Wandbehänge. Dies ermöglichte in der später einsetzenden Gotik den Bau dichtgedrängter Städte mit hohen, mehrstöckigen Dachgeschossebenen und schmalen Häuserschluchten, welche den mittelalterlichen Charakter Northeims und vieler anderer Altstädte bis heute ausmachen.
Das Zieglerwesen war früher weit verbreitet. Armen Landarbeitern, die einen Großteil der frühneuzeitlichen Bevölkerung (und damit unserer Vorfahren) ausmachten, diente es oft als saisonaler Nebenerwerb. Vor allem aus der Fachwerk5Eck-Region gab es jährliche Wanderzüge in das für seine Ziegelmeister berühmte Lipperland, wo die Arbeiter sich organisierten und über den Sommer hindurch „in alle Welt“ verteilten. Auf den breiten, ebenen Flächen der Krempziegel verewigten sie sich dabei auch gerne mal.
Das traditionelle Deckbild des Krempziegels war durch seine schräge Lage zur Dachlattung geprägt, wodurch sich eine unverwechselbare „Sägezahn-Optik“ ergab. Modernere Krempziegeldächer und Wandbehänge wurden hingegen auch rechtwinklig eingedeckt. Viele davon gibt es aber nicht mehr, denn der einst weit verbreitete Ziegeltyp wird heute kaum noch hergestellt und ist durch jüngere Formen wie die Hohlpfanne oder den Falzziegel weitläufig verdrängt worden. Überlebt hat er in der Fachwerk5Eck-Region sowie den angrenzenden Gebieten des Harzumlands, Thüringens und Hessens. Hier gehört er fest zur traditionellen Baukultur – so wie Reetdächer an der Küste oder Schieferplatten im Sauerland.

Krempziegel in der Northeimer Dachlandschaft (Oberdorf) ©Stadt Northeim

Krempziegel als Dacheindeckung und Wandbehang in der Kirchstraße. Im Hintergrund die St. Sixti-Kirche mit ihrem gedrehten Turmhelm ©Stadt Northeim

Moderne Krempziegel-Eindeckung aus nächster Nähe ©Stadt Northeim

Historischer Krempziegel aus dem Northeimer Ortsteil Bühle. Der Ziegler hat sich mit den Worten „J. C. L. 19 [Jahre] jung 1750“ darauf verewigt – allerdings auf dem Kopf stehend. Stadtmuseum Northeim ©Stadt Northeim
Quellenhinweise:
Schmidt-Engbrodt, A., Schutz und Zierde – Historische Außenwandbehänge im südlichen Niedersachsen, in: Arbeitshefte zur Denkmalpflege 32, hrsg. v. NLD, Hildesheim 2006, S. 15 – 16.
Zanger, H., Dachdeckungen auf historischen Gebäuden – Ziegeldeckung: Krempziegel, in: Johannesberger Arbeitsblätter, hrsg. v. d. Beratungsstelle für Handwerk und Denkmalpflege, Propstei Johannesberg/Fulda 2007, Themenbereich 3.